Frühe Begegnungen mit Art Brut
Meine Art Brut-Geschichte hat 1980 begonnen. Ich besuchte eine Ausstellung von Johann Hauser und Oswald Tschirtner, zwei der bekanntesten Gugginger Künstler, im damaligen Museum des 20. Jahrhunderts in Wien. Die farbenprächtigen Frauen Johann Hausers überwältigten mich genauso wie seine ausschweifende Buntheit. Gleichzeitig faszinierte mich der unerwartete Kontrast der bescheidenen, kleinen, schwarzen Tuschezeichnungen von Oswald Tschirtner. Das Besondere lag in seiner Kraft der Reduktion. Er gilt zu Recht als Meister der minimalistischen Bildsprache. Da diese Ausstellung eine museale war, kam ich gar nicht auf die Idee, dass man solche Bilder auch käuflich erwerben konnte.
Vier Jahre später, 1984, besuchte ich eine weitere Ausstellung, die mich in Richtung Art Brut beeinflusste. “Primitivism in 20th Century Art“ im Museum of Modern Art in New York. Gezeigt wurden berühmte Künstler des 20. Jahrhunderts, wie Pablo Picasso, Alberto Giacometti oder Henri Matisse zusammen mit ihren Sammlungen afrikanischer und ozeanischer Skulpturen. Diese gigantische Gegenüberstellung konkreter Inspirationen beeindruckte mich stark. Es gab auch einen eigenen Bereich über Dada und den Surrealismus. Viele Surrealisten, beispielsweise Max Ernst oder Joan Miro waren vom Primitivismus und von Kunst aus psychiatrischen Anstalten beeinflusst.
Meine ersten Käufe
Diese Ausstellungen in Wien und New York haben mir Impulse in Richtung Art Brut gegeben. Es dauerte dann noch sieben Jahre, bis ich meine ersten Gugginger Bilder von Johann Korec und August Walla in der Galerie Chobot in Wien kaufte. Seither, also seit 1991, kaufe ich. In den 1990er Jahren wurde ich Kundin bei allen ausschließlich auf Gugging konzentrierten Galerien und seit 1993 von Gugging selbst. Bei meinem ersten Besuch dort hat mir Johann Hauser den Weg gewiesen, als ich im “Alten Kaffeehaus“ nach dem Haus der Künstler fragte. Ich war damals Mitte 30, eine Prokuristin in einer Spezialbank und dabei, mir mein zweites berufliches Standbein als Beraterin aufzubauen. Von 2000 bis 2006 war ich Mitglied des Vorstandes des Trägervereins (Freunde des Hauses der Künstler in Gugging) für das Haus der Künstler.
Da Gugging de facto ein reines Männerprojekt war, sind mir die Frauen in Gugging besonders wichtig. Eine nicht alltägliche Beziehung verbindet mich mit Laila Bachtiar, der einzigen Frau, die im Atelier arbeitet und von der Galerie vertreten wird. Mit ihr und ihrer Mutter treffe ich mich mehrmals im Jahr auch außerhalb von Gugging. Dass ich mit Karoline Rosskopf und Barbara Demlczuk auch zwei der ganz wenigen historischen Künstlerinnen aus der Ära von Leo Navratil in meiner Sammlung vertreten habe, freut mich natürlich.
Es war vor allem meine Mutter, eine frühe Feministin, die immer die Frauen in meiner Sammlung einforderte. Irgendwann ist mir bewusst geworden: Eigenständige Sammlerinnen von Art Brut sind selten. Noch seltener sind Sammlerinnen, die vermehrt Art Brut-Künstlerinnen kaufen. Das führte dazu, dass ich zu Beginn meiner Internationalisierungsphase vor über zehn Jahren einen Frauenfokus für meine Sammlung mitkonzipierte.
Meine Strategie
Meine Strategie besteht aus drei Schwerpunkten: Erstens gibt es die Abrundung meines Gugging-Schwerpunktes um frühe historische Arbeiten und neue Künstler. Zweitens den spezifischen Frauenfokus. Drittens konzentriere ich mich auf internationale Art Brut-Positionen. Dieser Strategie folgend, lasse ich die Kunst auf mich zukommen und jage ihr nicht hinterher: Ich erhalte Angebote von internationalen Galerien und Sammlungen und entscheide.
Das Sammeln von Art Brut ist für mich ein professionelles Projekt. Ich bin ja nicht nur Sammlerin, sondern auch Ökonomin, Beraterin für berufliche Entwicklung und Vortragende. Damit ist eine bestimmte Art der Reflexion verbunden. Und der Kontext, in dem sich mein Sammeln bewegt, ist ein spezifischer.
Ganz wichtig für mich ist die “Feldforschung“, also mein Zugang zu Art Brut als Feld in der zeitgenössischen Kunst. Dazu zähle ich Museums- und Ausstellungsbesuche und damit verbundene Reisen. Aber natürlich auch ein vielfältiges Kontaktnetz bestehend aus Künstler:innen, Galerist:innen, Museumsdirektor:innen, Kurator:innen, Kunsthistoriker:innen, Sammler:innen, Psychiater:innen, Schriftsteller:innen, Vertreter:innen von Kunstuniversitäten und Urheberrechtsgesellschaften. Aus all diesen Aspekten und Erfahrungen ergeben sich ständig neue Impulse, Inspirationen, Ideen und Zukunftsbilder für meine Sammlung. Mir hilft mein Art Brut-Projekt, Halt und Orientierung in einer Gegenwart der permanenten Verwandlung zu finden.